Die Ssemetschkins

Einer der Architekten des alten Pensas war Weniamin Pawlowitsch Ssemetschkin (1843-1917), ein hervorragender Baukünstler der russischen Provinz, der auch im russischen Architekturstil gearbeitet hatte.

Weniamin Ssemetschkin, 1894.

Das Schicksal seiner Familie wurde, so zu sagen, zu einem Lehrbuchbeispiel für das Schicksal der Gebildeten und Tätigen in der Übergangsphase zwischen der Zeit der Zaren und der Sowjets. Er hinterließ dem Gouvernement ein reiches architektonisches Erbe, wurde aber von den nachfolgenden Generationen der Bürger von Pensa der Vergessenheit preisgegeben. Und sein einziger Sohn erhielt “zur Belohnung” nur Kummer und Not der Verfolgungen.

Es ist unbekannt, wie viele Kinder der Petersburger Maler der XIV. Klasse Pawel Petrowitsch Ssemetschkin insgesamt hatte. Wir wissen nur über seine zwei Söhne Bescheid. Der ältere Sohn Leonid Pawlowitsch Ssemetschkin stand zwar in keinem Zusammenhang mit Pensa, galt aber in ganz Russland und im Ausland als der größte Spezialist auf dem Gebiet des Schiffbaus, des Hafenbaus und des Marinewesens bekannt. In Pensa selbst arbeitete der jüngere Sohn Weniamin.

Weniamin Pawlowitsch Ssemetschkin wurde 1843 wahrscheinlich in St. Petersburg geboren. Von 1860 bis 1875 studierte er an der Kaiserlichen Kunstakademie – zuerst Malerei und dann Architektur. Für seinen guten Abschluss erhielt er eine Silbermedaille (1873) und den Titel eines Klassenkünstlers dritten Grades (1875).

Nach dem Abschluss der Akademie (1876) fand er Arbeit als Architekt bei der Zollbehörde, von wo er aber in 1883 sich hat wegen Krankheit entlassen lassen. Berufliche Meilensteine von W.P. Ssemetschkin für die 1880-er Jahre sind wenig bekannt. Am 23. Dezember 1892 wurde er auf sein eigenes Bittgesuch hin nach Pensa geschickt und wusste natürlich nicht, dass er 25 Jahre in dieser Stadt verbringen, ihr seine ganze Kraft schenken und auch dort begraben werden würde. Hier arbeitete er zunächst als Ingenieurassistent, dann als Juniorarchitekt (bis 1909) und schließlich als Gouvernementsarchitekt (bis zu seinem Tod).

Das schöpferische Symbol von W.P. Ssemetschkin ist zweifellos das noch erhalten gebliebene prächtige Gebäude der Fleischpassage in der Moskowskaja Straße 85.

Die Fleischpassage (Moskowskaja-Straße, 85)

Es wurde zwischen 1896 und 1897 erbaut und bildete zusammen mit der gegenüberliegenden Petropawlowskaja Kirche ein schönes architektonisches Duett. Wenn wir an diesem Meisterwerk vorbeigehen und den Anblick seiner Formen genieβen, denken wir kaum an den Schöpfer dieses Werks und seine Nachkommenschaft. Heute kommen bei Passanten keine Assoziationen mit dem Familiennamen Ssemetschkin auf, wenn sie die Ausgestaltung des Gebäudes bemerken. So lassen wir die Turmspitzen der Passage wenigstens ab jetzt an die Lebensgeschichten der Menschen erinnern, die damit verbunden waren.

Der Markt neben dem Gebäude der Fleischpassage in den 1950-er Jahren.

Der Biograph von W.P. Ssemetschkin und der Pensaer Forscher Jewgenij Belochwostikow spricht von 34 berühmten Projekten des Meisters, darunter 24 Bauwerken von religiöser Bedeutung: 10 Steinkirchen und Kapellen, 7 Holzkirchen und 7 Projekte für die Verbreitung und Umbau der Kirchenbauten. Weniamin Pawlowitsch legte einen besonderen Wert auf Diözesanklöster und zum Symbol seiner Tempelarchitektur in Pensa ist die majestätische zehnkuppelige Dreifaltigkeitskathedrale des Schichanskij-Klosters im Gorodischtschensker Kreis (sie ist nicht erhalten geblieben) geworden.

Die Dreifaltigkeitskathedrale des Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Schichanskij-Klosters

Die meisten seiner kirchlichen Werke sind über das ehemalige Gouvernement hin verstreut, aber es gab auch einige in Pensa. Insbesondere hinter dem Altar der Erscheinungs-Kirche (heute ist es der Kulturpalast von Dsershinskij) wurde nach seinem Projekt eine Kapelle im Andenken daran errichtet, dass der Kronprinz Nikolaj Aleksandrowitsch unsere Stadt 1891 besucht hatte (sie ist nicht erhalten geblieben).

Die Kapelle am Altar der Erscheinungs-Kirche

Per 1915 hatte der Pensaer Gouvernementsarchitekt W.P. Ssemetschkin nach der Rangtabelle des kaiserlich-russischen öffentlichen Dienstes den hohen Dienstrang eines Staatsrats inne. Er wurde mit dem Orden der Heiligen Anna des 3. Grades (1902), dem des Heiligen Stanislaw des 2. Grades (1915), mit den Gedenkmedaillen an Alexander III. (1897) und an den 300. Jahrestag des Hauses Romanow (1913) ausgezeichnet.

Im Herbst 1916 wurde Weniamin Pawlowitsch schwer krank und musste den Gouverneur um eine Entlassung in den Ruhestand und eine Rente nach dem 40-jährigen öffentlichen Dienst bitten. Er starb am 1. Februar 1917, wurde im Pensaer Frauenkloster der Dreifaltigkeit ausgesegnet, wo er wahrscheinlich auch zu Grabe getragen wurde. Seine Witwe Anastasija Michailowna versuchte die Rente für ihren verstorbenen Ehemann ausgezahlt zu bekommen, aber im Strudel der Ereignisse der Russischen Revolution blieb es ohne Erfolg.

Weniamin Pawlowitsch wohnte mit seiner Frau Anastasija Michailowna und den Söhnen Sergej (1875) und Wladimir (1878) im Haus Nr. 2 in der Ssadowaja Straße. Über den jüngeren Sohn von Weniamin Pawlowitsch, Wladimir, ist uns fast nichts bekannt, außer dass er am 23. Oktober 1878 geboren wurde, das 1. Pensaer Männergymnasium besuchte und im ganz jungen Alter starb. Das Schicksal des älteren Sohns von Sergej nahm auch ein tragisches Ende.

Haus Nr. 2 in der Ssadowaja Straße, in dem die Familie Ssemetschkins wohnte

Sergej Weniaminowitsch Ssemetschkin wurde am 14. September 1875 in St. Petersburg geboren. Nach dem Abschluss der Universität Kiew wählte er für sich eine militärische Laufbahn. Er diente als Offizier im Kiewer Grenadierregiment und dann im Estländer Regiment. Im Jahr 1902 nahm er als Leutnant am Russisch-Japanischen Krieg (1904-1905) teil. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges diente er in der Stadt Jablonne des Warschauer Gouvernements im Rang eines Hauptmanns. In Polen heiratete er die Witwe seines Kollegen Teresa Newerli-Abramowa, die in ihrer ersten Ehe die Mutter des künftigen polnischen Schriftstellers Igor Newerli (1903-1987) gewesen war. Im Ersten Weltkrieg wurde sie mit den Kindern nach Pensa zu ihrem Schwiegervater, dem Pensaer Architekten W.P. Ssemetschkin evakuiert. Hier soll Sergejs Ehe mit Teresa auseinandergegangen sein: sie fuhr mit dem Sohn 1918 nach Simbirsk, während er in Pensa blieb.

Der paramilitärische Staffellauf in der Moskowskaja Straße. Im Hintergrund ist die Fleischpassage, Jahr 1936.

Im Jahr 1937 war Sergej Weniaminowitsch Lehrer für Fremdsprachen an der Wessjolowsker Mittelschule. Hier wurde er am 22. Dezember unter der Anklage der Angehörigkeit zu einer konterrevolutionären kirchlich-monarchistischen Organisation verhaftet und am 14. Februar 1938 zusammen mit einer Gruppe von Geistlichen der Pensaer Mitrofanow-Kirche erschossen.

Die von W.P. Ssemetschkin errichteten Gebäude stehen immer noch, aber die Nachkommen können leider nicht zu seinem Grab kommen, um sich vor den Gebeinen desjenigen zu verneigen, der unsere kleine Heimat geschmückt hatte.

Quellen: Belochwostikow E.P. Architekten des alten Pensas. Pensa, 2009. S. 79-86; das Staatsarchiv des Pensaer Gebiets, F. 58, V. 1, D. 249; Informationen von A.I. Dworshanskij; Dworshanskij A. I., Selew S. W., Erzpriester Wladimir Kljuew. Der Gerechte soll vom Glauben leben. Das Pensaer Martyrologium der christlichen Märterer. – M., 2014. S. 412-413; https://artchive.ru.

Teilen